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"Wir haben uns da halbtot malocht"

Verfasst von: Schruff, Sabine
in: EMMA
1977 , Heft: 11 , 20-22 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1977-11-a
Formatangabe: Bericht
Link: Volltext
Verfasst von: Schruff, Sabine
In: EMMA
Jahr: 1977
Heft: 11
ISSN: 0721-9741
Sprache: Nicht einzuordnen
Beschreibung:
"Wir haben uns da halbtot malocht"
Dass Frauen streiken, kommt selten vor. Dass Putzfrauen streiken, ist unseres Wissens noch nie da gewesen . Schon gar nicht erwartet man den Aufstand von Frauen in einer Zeit der Arbeitslosigkeit, in der selbst Putzstellen knapp geworden sind. Und dennoch ist es geschehen: In Gelsenkirchen, wo 36 Putzfrauen spontan die Arbeit niederlegten.
An einen Streik hatte vorher niemand gedacht. Und doch war " er plötzlich da. 36 Putzfrauen i. stellten Eimer und Schrubber in die Ecke und marschierten ge-8 schlössen vors Werkstor. Mit Protestparolen auf hastig gezimmerten Transparenten, auf auseinander gerissenen Pappkartons, gestützt von Besenstielen und Gardinenstangen: So begann der erste Putzfrauen-Streik in der BRD. Ein "wilder Streik", n den im nachhinein auch die Gewerkschaft unterstützte. ,. Bestreikt wurde das Reinigungsunternehmen Piepenbrock, das bundesweit 13 000 Leute beschäftigt, davon allein 1500 ,( Frauen im Ruhrgebiet. Noch vor :- einigen Monaten hatten die 36 Putzfrauen einen anderen Arbeitgeber: die Firma Uniputz. Sie aber hatte im vergangenen Juni ihren Reinigungsauftrag (bei dem Thyssen-Betrieb "Schalker Verein" in Gelsenkirchen) abtreten müssen: Piepenbrock hatte Uniputz unterboten. Damit waren auch die Putzfrauen zu Piepenbrock übergewechselt. Das heißt: Sie dienten einem neuen Herrn, behielten aber ihre alten Arbeitsplätze, "ihre Reviere", wie die Frauen sie nennen.

Drei Monate blieb alles beim Alten. Dann eröffnete Objektleiter Hempel den Frauen: "Wir haben ein Minus von 6000 Mark. Die Arbeit muss neu organisiert werden." Helga Janzik, Sprecherin der Putzfrauen, war sofort klar, woher der Wind wehte: "Die mussten der Konkurrenz unbedingt den Auftrag abjagen, haben dabei unheimlich knapp kalkuliert - und sich dann gewundert, dass sie nicht mehr auf ihre Kosten kamen." Und: "Jetzt sollte auf unseren Knochen das Geld wieder reingeholt werden." Herr Hempel ging dabei taktisch vor. In Einzelgesprächen redete er den Frauen ein, dass die gleiche Arbeit auch in weniger Zeit zu schaffen sei. Frau Janzik: "Also, bei uns allen wurde die Stundenzahl runtergesetzt: von fünf auf vier Stunden. Von vier auf drei Stunden, und so." Was im Klartext heißt: dieselbe Arbeit in weniger Zeit. Dieselbe Arbeit für weniger Geld. Und das, obwohl die Frauen bereits unterbezahlt wurden. Laut Tarif hätten sie 6,40 Mark pro Stunde bekommen müssen, tatsächlich bekamen sie aber nur 5,38 Mark. Als Argument für die Rationalisierung benutzte Hempel eine Arbeitshaltung der Frauen, die bislang für die Firma nur von Vorteil gewesen war: War nämlich eine Frau ein paar Tage in Urlaub, übernahmen die anderen Frauen " Arbeit mit, anstatt sich Überstunden zahlen zu lassen. Frau Janzik: "Wir haben uns dann halbtot malocht. So als Ausnahme kann man das ja mal machen . . ." Genau die "Ausnahme" war es dann, die Herr Hempel zum Maßstab setzte. Nach dem Motto: "Wenn Sie das schaffen, sind Sie wohl in Normalzeiten nicht ausgelastet." Die neue Arbeitsregelung brachte einen unerträglichen Zeitdruck. Vor allem aber vergiftete sie das Betriebsklima. Früher war es noch möglich gewesen, zwischendurch mal Pause zu machen, miteinander zu reden. Die meisten Frauen arbeiten schon fünf, zehn Jahre zusammen. Sie kennen sich gut. Frau Janzik: "Wenn eine Geburtstag hatte, dann haben wir vorher gesammelt für ein Geschenk. Am Geburtstag haben wir uns alle mit der Arbeit beeilt, damit wir nachher noch ein bisschen zusammensitzen konnten. Heute ist das überhaupt nicht mehr drin: Dieser Tage hatte eine von uns Geburtstag. Wir haben ihr gemeinsam ein Bügeleisen geschenkt. Ob Sie's glauben oder nicht: Die meisten hatten nicht mal Zeit, ihr überhaupt zu gratulieren." Und noch etwas ist geschehen: Die Frauen sind nach Feierabend so geschlaucht, dass jede sofort nach Hause will. Auch das war früher anders. "Da haben wir jeden Freitag nach Dienst zusammen ein Bierchen getrunken, haben über die Sachen geredet, die so bei jeder passiert sind. Auch darüber, wenn die eine sich mal über die andere geärgert hat. Wenn man Zeit hat, kann man doch über alles reden - oder?" Diese Zeit gab es nun nicht mehr. Um so erstaunlicher, dass sich die Frauen dann dennoch wieder untereinander verständigten. Das geschah, als Objektleiter Hem-pel "den Damen" vorrechnete, es gäbe überhaupt keinen Grund, sich zu beschweren . . . mit einem bisschen guten Willen sei alles zu schaffen .. . "Erst waren wir alle ganz perplex", erzählen die Putzfrauen. "Jede für sich dachte, das kann doch nicht stimmen, was der Kerl da gesagt hat. Aber er hat uns so zugequatscht mit seinen Zahlen. Im Moment konnte keine von uns sagen, wie es richtig ist, weil wir ja auch immer mit unterschiedlichen Stunden im Einsatz sind."

Das war an einem Freitag. Übers Wochenende rechnete jede Frau für sich nach. Da wusste zum Beispiel Helga Janzik, dass sie gemessen an früheren Arbeitsbedingungen 86 Mark weniger im Monat hatte, und nicht - wie Herr Hempel behauptete - 96 Mark mehr. Beim nächsten Gespräch, das war dann am 3. Oktober, gab's überhaupt keine Verständigung mehr. Die Frauen forderten ihre "alten Arbeitszeiten". Der Objektleiter drohte mit fristloser Kündigung, wenn die Frauen nicht sofort wieder an ihre Arbeit gingen. "Da war Schluss. Da kriegten wir alle eine unheimliche Wut. Da war der Streik da!"

Was den Putzfrauen den Protest erleichterte: Die meisten sind gewerkschaftlich organisiert, in der IG Bau, Steine, Erden. Von dieser Seite kam dann auch Unterstützung, wenn auch reichlich spät. So konnten die Frauen in der ersten Runde zumindest durchsetzen, was ihnen ohnehin zusteht (und worum sich die Gewerkschaft längst hätte kümmern müssen): dass sie endlich nach Tariflohn bezahlt werden. Ob allerdings die Firma Piepenbrock nun auch freiwillig - also ohne Prozess - eine Nachzahlung für die letzten Monate leistet, darüber mochte Herr Hempel EMMA noch keine Auskunft geben.

Für Walter Brass, den Gewerkschafts-Vertrauensmann der Putzfrauen, liegt der Fall so: "Klar, hier sollte durch knappere Arbeitszeiten mehr Profit herausgeholt werden, wie überall. Aber diesmal hat die Firma die Schraube voll überdreht." Und wie war das überhaupt möglich?

Brass: "Da gibt es die Frauen, die mit Papieren arbeiten. Und die Frauen, die ohne Papiere arbeiten. Der zweite Fall ist ja auch in Ordnung. Bei einem Monatsverdienst von 370 Mark brauchen die Frauen keine Steuer- ' karte. Natürlich ist einem solchen Betrieb daran gelegen, dass möglichst viele Frauen ohne Papiere arbeiten, weil man dann die Sozialversicherungsbeiträge spart. Also: Mit verkürzten Arbeitszeiten kann man mehr \ Frauen ohne Papiere beschäftigen. Dazu kommt, dass solche Frauen in der Regel wenig informiert sind, dass man ihnen leicht einreden kann, sie würden eigentlich illegal arbeiten. Die lassen sich dann schnell einschüchtern."

Dabei haben auch Arbeitnehmer, die keine Steuern zahlen, Rechte: Anspruch auf Sozialleistungen wie Urlaubsgeld, Lohnfortzahlung von sechs Wochen im Krankheitsfall und Kündigungsschutz.
Zumindest auf dem Papier. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Auch eine Frau, die mutig ist, die sich in ihren Rechten auskennt, eine Frau wie Helga Janzik, traut sich nicht, sich krank schreiben zu lassen. "Ich hab am linken Arm eine Sehnenscheidenentzündung, wegen Überanstrengung. Die müsste ich dringend auskurieren. Aber darauf warten die ja nur: dass ich über längere Zeit krank bin, dass die einen Vorwand haben, mich vor die Tür zu setzen." Natürlich weiß sie, dass sie beim Arbeitsgericht klagen könnte. Aber sie weiß auch, wie lange solche Gerichtsverfahren dauern. Was uns interessiert: Woher nimmt Helga Janzik ihren Mut? "Den habe ich von meinem Vater geerbt. Der hat sich auch nichts gefallen lassen. Der hat 46 Jahre unter Tage gearbeitet." Heute lebt Frau Janzik mit ihrem Vater zusammen. In einer alten Bergarbeitersiedlung in Gelsenkirchen-Uk-kendorf, deren Bewohner sich seit Jahren gegen den Abbruch ihrer Häuser wehren.

Helga Janzik ist geschieden, kinderlos, hat einen Hund und züchtet - typisch Kohlenpott - Brieftauben. Sie kümmert sich um Heimkinder und ist immer dabei, wenn die Siedlungsbewohner ein gemeinsames Fest organisieren. Ihr ganzes Leben hat sie inÜkkendorf gewohnt. Jeder kennt sie. Jeder erinnert sich an Helga Janzik, wie sie noch vor zehn Jahren mit Pferdegespann und Bimmel auf der Straße Obst und Gemüse verkaufte. "Da habe ich den Alten die Kartoffeln in den vierten Stock geschleppt."

Obwohl beim Streik noch alle Frauen hinter Helga Janzik standen, sieht die Situation nach einigen Wochen schon anders aus. Natürlich hat inzwischen die Gegenseite versucht, einzelne Frauen einzuschüchtern. Zum Beispiel eine Putzfrau, die schon über 70 ist, die um jeden Preis weiter putzen und nicht von der Fürsorge leben will.

Frau Janzik, die Wortführerin, ist dennoch optimistisch. "Die Mehrzahl der Frauen hält zu mir. Als nächstes werden wir einen Betriebsrat wählen. Und da will ich kandidieren."

SABINE SCHRUFF
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