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Einrichtung: | FrauenMediaTurm | Köln |
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Signatur: | Z-Ü107:1996-5-a |
Formatangabe: | Bericht; Dossier |
Link: | Volltext |
Verfasst von: | Matuschka |
In: | EMMA |
Jahr: | 1996 |
Heft: | 5 |
ISSN: | 0721-9741 |
Sprache: | Nicht einzuordnen |
Beschreibung: | |
Joanne Motichka, Künstlerinnenname Matuschka, erkrankte 1991 an Brustkrebs - mit 4l war ihre Mutter daran gestorben. Sie überlebt und ließ sich, als Künstlerin und Ex-Fotomodell, nicht mit einer künstlichen Brust den Körper verschandeln, sondern stand zur Wahrheit - und wurde so zum Symbol des amerikanischen fight against cancer. Vor fünf Jahren, mit 37, entdeckte ich einen Knoten in der rechten Brust - Brustkrebs. Ich steckte gerade mitten in den Vorbereitungen meiner ersten Einzelausstellung im Photographic Museum Helsinki. Eine Woche später wurde mir die Brust amputiert. Heute weiß ich, daß diese Totaloperation unnötig war, und daß ich nur eine von vielen Frauen bin, die Opfer ärztlicher Unwissenheit, Überheblichkeit oder Schlamperei sind. Wir Krebskranken nennen uns nun zwar selbstbewußt "Überlebende", aber in Wahrheit sind wir Opfer - Opfer des medizinischen Systems. Während meiner "Behandlung" lernte ich Hunderte brustoperierter Frauen kennen, und jede ihrer Geschichten war eine Horrorstory. Auch ich selbst wurde unterdiagnostiziert und überbehandelt. Den Knoten tief in meiner Brust hatte ich selbst entdeckt. Ich ging zur Mammographie. Doch ließ sich der Knoten auf den Röntgenbildern nicht entdecken. Diagnose: kein Brustkrebs. Ich bestand auf einer Gewebeprobe. Der Chirurg mußte sehr tief schneiden. Als er schließlich den Knoten erreichte und sah, daß es Krebs war, versuchte er, die Geschwulst herauszuzerren. Nach dem Eingriff sah meine Brust ziemlich übel aus. Da empfahl er mir eine Amputation. Heute weiß ich, daß sein medizinischer Sachverstand in diesem Moment von seinem ästhetischen Empfinden getrübt war. Doch damals war ich so verunsichert wie die meisten Frauen in meiner Lage. Die Angst vorm Tod saß mir im Nacken - meine Mutter war im Alter von 41 Jahren an Brustkrebs gestorben, als ich 13 war. Ich stimmte der Amputation mit anschließender Chemotherapie zu. Als ich zum zweitenmal auf dem OP-Tisch lag, fragte mich der Arzt, ob er den plastischen Chirurgen hinzuholen dürfe, um den Inflator zu legen. "Welchen Inflator?" fragte ich verständnislos. "Matuschka, ein Inflator ist ein kleines Gerät, das die Haut über dem Brustkasten nach der Operation dehnt. Das erleichtert die Brustrekonstruktion." - "Aber ich will keine Rekonstruktion!" - "Mit einer neuen Brust werden Sie bestimmt glücklicher sein." - Da platzte mir der Kragen: "Ich nehme diese ganze schmerzliche Prozedur doch nicht dafür auf mich, damit Sie mir eine Kunstbrust basteln, die absolut nichts mehr empfinden kann. Wenn schon, bauen Sie mir eine Kamera oder einen Walkman ein!" Nach der Amputation konnte ich mir bei der Visite dann doch die Frage nicht verkneifen: "Na, Herr Doktor, was wäre Ihnen lieber gewesen: Gar kein Schwanz, oder lieber ein deformierter?" Ich hatte das Gefühl, daß man mir keine Wahl gelassen hatte. Vielleicht wäre ich mit einer teiloperierten Brust nicht so unglücklich gewesen, und vielleicht wäre eine deformierte rechte Brust besser als gar keine. Als Antwort schlug der Arzt vor, mir ein Silikonkissen einzusetzen - und das im Jahr 1991, in dem Silikonimplantate in den USA gerade verboten worden waren, außer für Brustkrebspatientinnen. Wütend schickte ich die Krankenschwester, die mit einem Muster-Köfferchen mit Prothesen an mein Bett trat, wieder weg. Die meisten Frauen verstecken sich nach der Operation hinter solchen Attrappen: Silikonkissen, rekonstruierten "Brüsten" aus Eigenfleisch, ausgestopften Büstenhaltern, lockerer Kleidung oder einem strategisch platzierten Schal. Das soll jede Frau selbst entscheiden - aber dieses Versteckspiel hilft nicht gerade, die Vorurteile der Gesellschaft gegen Frauen mit kleinen Brüsten, einer oder keiner Brust zu bekämpfen. Eine brustamputierte Frau, die inzwischen starb, erklärte mir, warum sie eine Prothese im Büstenhalter trug: "Es hilft den anderen, zu vergessen, was mir passiert ist." Eben. Aber die Betroffene selbst wird durch die Prothese gezwungen, erst recht daran zu denken. Dieselbe Frau gestand mir ihre Albträume, die Prothese könne ihr im Schwimmbad aus dem Badeanzug rutschen und wegschwimmen. Ich selbst hatte im ganzen Leben noch nie einen Büstenhalter getragen - warum sollte ich nun plötzlich so ein ausgestopftes Ding tragen? Ich beschloß, meine Gesundheit nicht länger den Ärzten zu überlassen. Noch im Krankenhaus begann ich eine makrobiotische Diät, bei der ich bis heute geblieben bin. Binnen einem Jahr hatten sich meine Abwehrkräfte zum Erstaunen der Ärzte regeniert, ich sah um Jahre jünger aus, und fühlte mich auch so. Ich begann, die Veränderungen meines Körpers nach der Operation zu photographieren und verglich meine Bilder mit den Selbstporträts anderer Künstlerinnen nach Brustoperationen. Da bemerkte ich, daß wir dabei vor der Kamera offenbar unbewußt eine ganz bestimmte Haltung einneh-men: die eine Hand verdeckt die Augen, die andere Hand die Narbe. Die Bilder strahlten weder Würde noch Selbstachtung aus. Ich nahm mir vor, dies in meinen Selbstporträts anders zu machen. Meine Arbeiten sollten ganz Amerika aufrütteln! Cervin Robinson, ein bekannter Architekturphotograph alter Schule, war bereit, die Fotos von mir zu machen. Die gut ausgeleuchteten, wohlkomponierten Bilder waren schockierend: Obwohl er meinen Körper so monumental aufgenommen hatte wie das Empire State Building, fehlte mein Kopf, und damit meine Identität. Die fehlende Brust erhielt auf diese Weise eine überdimensionale Bedeutung. Beim zweiten Termin bestand ich darauf, daß mein Kopf mit im Bild ist. Nun war ich mit den Ergebnissen ganz zufrieden, er aber nicht. Ich würde darauf "einfach zu gut, zu sexy" aussehen. Ich war verblüfft. Muß eine brustamputierte Frau bis zu ihrem Lebensende Trauer tragen? Der zweite Fotograf, mit dem ich es versuchte, war Mark Lyon, ein freier Fotograf in meinem Alter. Das Ergebnis unserer Zusammenarbeit waren schließlich elf Filmrollen mit Porträts von mir zusammen mit meinem Boyfriend Victor: vier Filme nur über Victor, und ganze zwei Aufnahmen von mir allein. Auf beiden war mein Kopf abgeschnitten. Ich versuchte es noch ein allerletztes Mal, jetzt mit dem Fotografen Allen McQuinney. Diesmal sollte mein Kopf dran bleiben, aber hinter einem Gaze-Schleier verscwinden. Dadurch wirkten die Fotos wehmütig und traurig. Traurig war ich in der Tat: Nach der Diagnose hatte mich mein damaliger Lebensgefährte verlassen; mein Vater traktierte mich mit den Erinnerungen an den Tod meiner Mutter; ich verlor meinen Job. Doch nun war mir endgülg klar, daß ich dieses Projekt allein anpacken mußte. Ich machte mich an die Arbeit und schleppte meine schwere Fotomappe zwei Jahre lang zu jeder Frauenzeitschrift des Landes. Dabei mußte ich aufpassen, daß mir der rechte Arm nicht anschwoll: 24 Lymphknoten waren mir dort entfernt worden. Doch weder die Illustrierten noch feministische Blätter wie "Ms" wollten meine Arbeiten abdrucken. In der "Ms."-Redaktion war ich dreimal - vergeblich. Die Zeitschift "Working Woman" war interessiert - unter der Bedingung, daß ich meine Augen auf dem Foto schließe. Ich lehnte ab. Der Anruf vom "New York Times Magazine" im Sommer 1993 war die Überraschung. Sie hatten einen Report über Brustkrebs geschrieben und wollten mit mir titeln. Mein Bild auf dem Cover am 15. August löste eine ungeahnte Kontroverse aus. Eine Woche später stapelten sich schon über 500 Briefe auf meinem Schreibtisch. Die härteste Kritik kam von brustamputierten Frauen, die es bisher geschafft hatten, ihr Aussehen um jeden Preis zu verbergen, selbst vorm eigenen Ehemann. Doch die positiven Reaktionen überwogen, wenn auch knapp. Seither wurden meine Arbeiten auf vielen Ausstellungen und Demonstrationen gezeigt und gewannen internationale Preise. Seit 1991, als ich den Knoten entdeckte, hat sich mein Leben durch den Brustkrebs auf eine Weise verändert, wie ich es mir selbst in meinen wildesten Träumen nicht hätte vorstellen können Positiv verändert. MATUSCHKA |
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