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Gefährlicher Schutz

Verfasst von: Slupik, Vera
in: EMMA
1982 , Heft: 5 , 27-30 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:1982-5-a
Formatangabe: Bericht; Dossier
Link: Volltext
Verfasst von: Slupik, Vera
In: EMMA
Jahr: 1982
Heft: 5
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:


    Gefährlicher Schutz

    Immer wenn Frauen in einer Männergesellschaft freiwillig "Vorteile" eingeräumt werden, sollten sie zweimal hingucken. Emma forderte beim Bonner Hearing die Anschaffung des Machtarbeitsverbots für Frauen" DGB schrie: Skandal! Der DGB hat unrecht. Frauen dürfen nachts nicht arbeiten? ! So manche Frau wird nur müde lachen, hört sie, dass in der Bundesrepublik Gesetze existieren, die nächtliche Frauenarbeit verbieten. Schließlich ist mittlerweile nicht nur Feministinnen bekannt, dass Frauen zwei Drittel aller Arbeit überhaupt leisten. Die gesamte Hausund Erziehungsarbeit, aber auch die Hälfte der Erwerbsarbeit werden von Frauen bestritten und das - wie wir nur zu gut wissen - rund um die Uhr. Tag und Nacht in Küchen und Kinderzimmern, Krankenhäusern und Wohnzimmern, Bars und Schlafzimmern, in Dienstleistungsbetrieben aller Art. Auch von der dritten Schicht industrieller Produktion, die weiblichen Menschen eigentlich verboten ist (siehe Kasten), werden wir nicht verschont.

    Gerade aber weil sich Frauen in Haushalt und Betrieb unter miserablen Bedingungen oftmals zu Tode schuften oder zu Invaliden werden, muss einmal genauer untersucht werden, welche gesetzlichen Wohltaten in Sachen Arbeitsschutz dieser Staat für uns bereithält und - warum. Schließlich hat das Bundesarbeitsministerium für dieses Jahr den Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes angekündigt in dem die vielen verstreuten Gesetze und Verordnungen auf diesem Gebiet zu einem neuen Gesetz zusammengefasst werden sollen. Bedenkt man, dass die meisten der jetzt geltenden Regelungen - darunter auch das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen - aus dem vorigen Jahrhundert stammen, ist dieses Vorhaben nur zu begrüßen. Die ersten Arbeitsschutzvorschriften für Frauen - Wöchnerinnenschutz, Verbot der Frauenarbeit unter Tage und nachts -wurden 1878 in der Gewerbe- Ordnung geschaffen. Das Elend der Frauen, die damals gewerblich arbeiteten, hatte viele Ursachen: schlechte Ernährung, zu lange Arbeitszeiten in Betrieb und Haushalt, ständige Schwangerschaften, miserable Arbeitsbedingungen, aber auch das Züchtigungsrecht des Ehemannes und die vielfach gegen Frauen ausgeübte Gewalt in Betrieb durch Vorgesetzte und Kollegen. Schon im vorigen Jahrhundert wurde dann auch der besondere Frauenarbeitsschutz" einschließlich des Nachtarbeitsverbots folgendermaßen gerechtfertigt: "Neben den Rücksichten auf die Sittlichkeit, gilt es, den Besonderheiten des weiblichen Organismus, der Stellung des Weibes als Mutter und Hausfrau gerecht zu werden" (schrieb Heinrich Herkener in der "Arbeiterfrage" 1894). Dass Sittlichkeit, Biologie und soziale Rolle in einem Atemzug genannt werden, sind wir Frauen ja auch heute noch gewöhnt. Schon in den Bismarckschen Enqueten zur Lage von Arbeiterinnen und Arbeitern wird missbilligt, dass Männer und Frauen während der nächtlichen Anwesenheit im Betrieb nicht nur arbeiteten, sondern auch so mancherlei Vergnügungen nachgingen. Die vielfachen Vergewaltigungen und Überfälle auf Frauen in Betrieben und auf nächtlichen Straßen waren allerdings ein ausschließlich männliches Vergnügen. Um des Mannes Arbeitsmoral zu heben, verbannte man also die Frauen nachts ins Haus, obwohl es - übrigens auch heute noch - wirkungsvoller gewesen wäre, ein Ausgeh- und Nachtarbeitsverbot für Männer zu erlassen (natürlich, ohne den Männern zu verbieten, nachts die Kinder zu versorgen...).

    Heute ist in der Diskussion über das Nachtarbeitsverbot zwar nicht mehr von Sitte und Moral die Rede, was die soziale "Stellung des Weibes" anbelangt und den altbekannten Rückzug auf biologische Beschaffenheiten, hat sich jedoch nicht viel geändert. Die bundesdeutschen Gerichte halten nach wie vor an dieser frauenspezifischen Begründung fest, obgleich nahezu alle neueren Forschungen über Nachtarbeit belegen, dass diese unabhängig vom Geschlecht gesundheitsschädlich ist, das heißt lebensfeindlich für Menschen: für Frauen und Männer gleichermaßen.

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund nun ist der Meinung, dass das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen beibehalten bleiben soll, weil es Frauen "meist nicht möglich" sei, "am Tage zum nötigen Schlaf zu kommen, da ihnen in der Regel vorwiegend die familiären Aufgaben übertragen sind" - vornehme Umschreibung des patriarchalischen Hausarbeitszwangs. Zur diskreteren Bewältigung der Doppelbelastung also Nachtarbeitsverbot für Frauen. Ist das die Position, auf die die Gewerkschaft stolz ist?!

    Wie sieht die Realität des Nachtarbeitsverbots aus? Schon die gesetzlichen Bestimmungen (siehe Kasten) lassen erkennen, dass das Verbot nächtlicher Arbeit nur für einen kleinen Teil weiblicher Tätigkeiten gilt. Kein Verbot häuslicher Nachtarbeit, kein Verbot für Angestellte und Beamtinnen und kein Verbot für Krankenhäuser, Restaurants und andere Dienstleistungsbetriebe, Landwirtschaft usw. Das Nachtarbeitsverbot trifft ausschließlich Arbeiterinnen und ist auf die Zeit zwischen acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens begrenzt.

    In mehrschichtigen Betrieben darf bis 23 Uhr gearbeitet werden und wenn die Firmenleitung darauf besteht, erlaubt die Gewerbeaufsicht fast immer flexible Arbeitszeiten, zwischen 24 und 5 Uhr. Schrumpft so die staatliche Rücksichtnahme auf weibliche Konstitution und Doppelbelastung de facto auf einen Zeitraum von fünf Stunden zusammen, so haben findige Unternehmen mit Duldung der Betriebsräte und unter den gar nicht wachsamen Augen der Gewerbeaufsichtsämter selbst diesen Rest nahezu abgeschafft: Um den "Wettbewerbsnachteil" gegenüber den Teilen der Wirtschaft auszugleichen, die nicht vom Nachtarbeitsverbot betroffen sind, werden Arbeiterinnen, die nachts im Betrieb arbeiten sollen, einfach als Angestellte geführt! Sie erhalten einen Monatslohn, der nach dem Stundenlohn der gewerblichen Arbeitnehmerinnen berechnet ist. Die Umgehung des Nachtarbeitsverbots ist also gang und gäbe, so dass dieses Gesetz als eine Schutzregelung für Frauen praktisch keine Wirkung hat! Ganz im Gegensatz zu seinem immer wieder beschworenen angeblich frauenfeindlichen Zweck hat es zwar keine Vorteile, aber massive Benachteiligungen für erwerbstätige Frauen und solche, die es werden wollen. Zum Beispiel:

    1. Unter dem Vorwand, dass in verschiedenen gewerblichen Berufen auch in Nachtschicht gearbeitet wird, lehnen private, aber auch öffentliche Betriebe die Ausbildung weiblicher Lehrlinge ab, obwohl nachts weder Jungen noch Mädchen ausgebildet werden.

    2. Die Übernahme von Mädchen, die die Ausbildung beendet haben, in ein weiteres betriebliches Arbeitsverhältnis wird nicht selten mit Hinweis auf die im Unternehmen übliche Nachtschicht verweigert.

    3. Die Neueinstellung von Frauen oder der innerbetriebliche Wechsel auf einen anderen Arbeitsplatz wird ebenfalls häufig wegen des Nachtarbeitsverbots verweigert. Das gilt natürlich nur für männlich dominierte Bereiche in denen es ungut auffallen würde, wenn die einzige Frau auch noch weniger bezahlt bekommt.

    4. Eine weitere Benachteiligung von Frauen anlässlich des Nachtarbeitsverbots liegt in der Lohndiskriminierung. Selbst wenn Frauen unter Umgehung des Verbots nachts arbeiten, bekommen sie nicht dieselben Zulagen wie Männer! Sei es, dass ihre Nachtschichtzulage geringer ist. Sei es, dass man Männern eine Nachtschichtzulage gibt, obwohl sie gar keine Nachtarbeit leisten. Sei es, dass Frauen die so genannte "Arbeitsmarktzulage" vorenthalten wird, die Männer deshalb bekommen, weil sie nicht bereit sind zum Frauenlohn nachts zu arbeiten. Im September 1981 hat das Bundesarbeitsgericht auf die Klage der Heinze-Frauen hin zwar entschieden, dass Frauen auch hier der gleiche Lohn für die gleiche Arbeit zusteht. Dennoch sind die eben genannten Diskriminierungen nach wie vor die Regel. Die 52 Schickedanz-Kolleginnen, die am 12. Mai dieses Jahres vor dem Bundesarbeitsgericht stehen werden, um ihr Recht auf Lohngleichheit einzuklagen, müssen eine Differenz zum Männerlohn in Höhe von 92,23 % hinnehmen! Auch in diesem Prozess werden Nachtarbeit und die entsprechenden Zulagen eine Rolle spielen.

    Trotz dieser eklatanten Missstände war das löchrige Nachtarbeitsverbot für Frauen und die schrankenlose Nachtarbeit für Männer während der hundert- jährigen Geschichte der Arbeitsschutzgesetzgebung niemals Gegenstand gewerkschaftlich organisierter machtvoller Klassenkämpfe und Verteilungsschlachten. In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen finden sich zwar detaillierte Bestimmungen über die finanzielle Absicherung der Nachtarbeiten, wie etwa beträchtliche Lohnzuschläge und verkürzte Schicht bei vollem Lohnausgleich. Ein schon jetzt mögliches tarifliches Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Männer gibt es noch nicht. Ich befürchte, dass dies nicht nur an dem dann sicher sehr nachhaltigen Widerstand der Unternehmen liegt. Denn Nachtarbeit ist im Patriarchat nicht nur eine Last, sie ist auch - ein Privileg -, jedenfalls soweit sie von Männern verrichtet wird: Mehr Geld, diskussionslose Befreiung von Hausarbeit, legitime Flucht vor Eheleben und Kinderbetreuung. Trotz der Gesundheitsschädlichkeit, vor allem im späteren Lebensalter, und trotz des weitgehenden Ausschlusses von Freizeitaktivitäten, war selbst zu Zeiten des Wirtschaftswunders kein machtvoller Kampf der Männer gegen Nachtarbeit festzustellen. Das liegt nicht etwa an der Ohnmacht der Gewerkschaften, sondern an den Prioritäten gewerkschaftlicher Politik. Klingt da nicht die offizielle Forderung des DGB, dass Nachtarbeit auf ein Minimum zu beschränken und nur in Versorgungsbetrieben zuzulassen sei, das grundsätzliche Verbot weiblicher Nachtarbeit aber beibehalten werden müsse, ein wenig fadenscheinig? Lassen sich männliche Gesundheitsschäden nach wie vor in Tarifprozenten aufwiegen? Können wir uns damit zufrieden geben, dass die Hamburger Leitstelle zur Gleichberechtigung, Frauen mit qualifizierter Berufsausbildung, die wegen des Nachtarbeitsverbots keine Stelle bekommen, auf eine ferne Zukunft vertröstet in der Nachtarbeit allgemein verboten sein wird?

    Würde die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen tatsächlich zur "Einführung einer dritten Schicht in der industriellen Produktion" führen, wie es dieselbe Leitstelle befürchtet oder existiert diese Schicht nicht in Wahrheit schon in fast allen dafür geeigneten Bereichen? Bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Männer für sich endlich nächtliche Chancengleichheit erkämpfen werden?

    Die Beibehaltung des derzeitigen Nachtarbeitsverbots ausschließlich für Arbeiterinnen ist jedenfalls die allerschlechteste Lösung des Problems. Dieses Verbot muss weg! Denn der gewerkschaftliche Grundsatz, dass diese Bestimmung solange bestehen bleiben muss, bis sie auf Männer erweitert werden kann, erweist sich für Frauen als Bumerang. Die Gewerkschaften kämpfen eben nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für ein geschlechtsunabhängiges Gesetz. Und das ist wie gesagt kein Zufall...

    Weil das ganze real eh eine Farce ist und de facto dieser "Schutz" vor Nachtarbeit nur ein erneuter Vorwand zur Benachteiligung von Frauen ist, wäre es ehrlicher, dieses spezielle Frauennachtarbeitsverbot endlich abzuschaffen! Und gleichzeitig einen konsequenten Kampf gegen Nachtarbeit überhaupt zu beginnen! Und zwar für Frauen wie Männer. Einen konkreten Kampf gegen die Nachtarbeit auf allen Ebenen der Tarifpolitik und Gesellschaftspolitik, keine Halbherzigkeiten bei der Errichtung neuer Nachtarbeitsplätze, sondern Zurückdrängen krankmachender Arbeitszeiten und -bedingungen, die Männer und Frauen gleichermaßen treffen... Den über diese Forderung entrüsteten Funktionären aber, die von Termin zu Termin hetzend, ihre Kinder noch nicht einmal am Wochenende sehen, und mit schneidiger Stimme die Erfolge gewerkschaftlicher Frauenpolitik anpreisen, denen kann nur entgegnet werden: Verteilungskämpfe gibt es nicht nur zwischen Klassen, sondern auch zwischen Geschlechtern und wenn dies nicht endlich auch im häuslichen und beruflichen Arbeitsleben begriffen wird, geht noch so manche Bombe los - gerade des nachts.
    Vera Slupik

    Das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen

    (Auszug aus der gültigen Arbeitszeitordnung von 1938)

    §19

    (1) Arbeiterinnen dürfen nicht in der Nachtzeit von 20 bis 6 Uhr und an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen nicht nach 17 Uhr beschäftigt werden.

    (2) In mehrschichtigen Betrieben dürfen Arbeiterinnen bis 23 Uhr beschäftigt werden. Nach vorheriger Anzeige an das Gewerbeaufsichtsamt kann die Frühschicht regelmäßig um 5 Uhr beginnen, wenn die Spätschicht entsprechend früher endet. Das Gewerbeaufsichtsamt kann zulassen, dass die Spätschicht regelmäßig spätestens um 24 Uhr endet, wenn die Frühschicht entsprechend später beginnt.

    (3) Die Vorschriften der Absätze l und 2 gelten nicht für die im § 17 Abs. 3 genannten Betriebe.

    §17

    (3) ... gilt nicht für das Verkehrswesen, für Gast- und Schankwirtschaften, für das übrige Beherbergungswesen, für das Friseurhandwerk, für Badeanstalten, für Krankenpflegeanstalten, für Musikaufführungen, Theatervorstellungen, andere Schaustellungen, Darbietungen oder Lustbarkeiten, für Filmaufnahmen, für Gärtnereien, für Apotheken, für offene Verkaufsstellen und für die mit ihnen verbundenen Änderungswerkstätten sowie für den Marktverkehr.

    §'1

    (l) ... Ausgenommen sind

    1. die Landwirtschaft einschließlich des Gartenbaues, des Weinbaues und der Imkerei, die Forstwirtschaft, die Jagd, die Tierzucht und die land- und forstwirtschaftlichen Nebenbebetriebe gewerblicher Art...

    2. die Fischerei, die Seeschifffahrt und die Luftfahrt, ausschließlich der dazugehörigen Land- und Bodenbetriebe.
    Gefährlicher Schutz Immer

    Wenn Frauen in einer Monnergeseii-schoft freiwillig "Vorteile" eingeräumt werden, sollten sie zweimal ninguclren. Emma forderte beim Bonner Hearing die Anschaffung des Machtarbeitsverbots für Frauen» DGB schrie: Skandal! Der DGB hat unrecht. Frauen dürfen nachts nicht arbeiten? ! So manche Frau wird nur müde lachen, hört sie, daß in der Bundesrepublik Gesetze existieren, die nächtliche Frauenarbeit verbieten. Schließlich ist mittlerweile nicht nur Feministinnen bekannt, daß Frauen zwei Drittel aller Arbeit überhaupt leisten. Die gesamte Hausund Erziehungsarbeit, aber auch die Hälfte der Erwerbsarbeit werden von Frauen bestritten und das — wie wir nur zu gut wissen - rund um die Uhr. Tag und Nacht in Küchen und Kinderzimmern, Krankenhäusern und Wohnzimmern, Bars und Schlafzimmern, in Dienstleistungsbetrieben aller Art. Auch von der dritten Schicht industrieller Produktion, die weiblichen Menschen eigentlich verboten ist (siehe Kasten), werden wir nicht verschont.

    Gerade aber weütsich Frauen in Haushalt und Betrieb unter mi- serablen Bedingungen oftmals zu Tode schuften oder zu Invaliden werden, muß einmal genauer untersucht werden, welche gesetzlichen Wohltaten in Sachen Arbeitsschutz dieser Staat für uns bereithält und - warum. Schließlich hat das Bundesar-beitsministerium für dieses Jahr den Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes angekündigt in dem die vielen verstreuten Gesetze und Verordnungen auf die- sem Gebiet zu einem neuen Gesetz zusammengefaßt werden sollen. Bedenkt man, daß die meisten der jetzt geltenden Regelungen - darunter auch das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen - aus dem vorigen Jahrhundert stammen, ist dieses Vorhaben nur zu begrüßen. Die ersten Arbeitsschutzvorschriften für Frauen - Wöchnerinnenschutz, Verbot der Frauenarbeit unter Tage und nachts -wurden 1878 in der Gewerbe- Ordnung geschaffen. Das Elend der Frauen, die damals gewerblich arbeiteten, hatte viele Ursachen: schlechte Ernährung, zu lange Arbeitszeiten in Betrieb und Haushalt, ständige Schwangerschaften, miserable Arbeitsbedingungen, aber auch das Züchtigungsrecht des Ehemannes und die vielfach gegen Frauen ausgeübte Gewalt in Betrieb durch Vorgesetzte und Kollegen. Schon im vorigen Jahrhundert wurde dann auch der besondere Frauenarbeitsschutz" einschließlich des Nachtarbeitsverbots folgendermaßen gerechtfertigt: "Neben den Rücksichten auf die Sittlichkeit, gilt es, den Besonderheiten des weiblichen Organismus, der Stellung des Weibes als Mutter und Hausfrau gerecht zu werden" (schrieb Heinrich Herkener in der "Arbeiterfrage" 1894). Daß Sittlichkeit, Biologie und soziale Rolle in einem Atemzug genannt werden, sind wir Frauen ja auch heute noch gewöhnt. Schon in den Bismarckschen Enqueten zur Lage von Arbeiterinnen und Arbeitern wird mißbilligt, daß Männer und Frauen während der nächtlichen Anwesenheit im Betrieb nicht nur arbeiteten, sondern auch so mancherlei Vergnügungen nachgingen. Die vielfachen Vergewaltigungen und Überfälle auf Frauen in Betrieben und auf nächtlichen Straßen waren allerdings ein ausschließlich männliches Vergnügen. Um des Mannes Arbeitsmoral zu heben, verbannte man also die Frauen nachts ins Haus, obwohl es — übrigens auch heute noch — wirkungsvoller gewesen wäre, ein Ausgeh- und Nachtarbeitsverbot für Männer zu erlassen (natürlich, ohne den Männern zu verbieten, nachts die Kinder zu versorgen...).

    Heute ist in der Diskussion über das Nachtarbeitsverbot zwar nicht mehr von Sitte und Moral die Rede, was die soziale "Stellung des Weibes" anbelangt und den altbekannten Rückzug auf biologische Beschaffenheiten, hat sich jedoch nicht viel geändert. Die bundesdeutschen Gerichte halten nach wie vor an dieser frauenspezifischen Begründung fest, obgleich nahezu alle neueren Forschungen über Nachtarbeit belegen, daß diese unabhängig vom Geschlecht gesundheitsschädlich ist, das heißt lebensfeindlich für Menschen: für Frauen und Männer gleichermaßen.

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund nun ist der Meinung, daß das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen beibehalten bleiben soll, weil es Frauen "meist nicht möglich" sei, "am Tage zum nö- tigen Schlaf zu kommen, da ihnen in der Regel vorwiegend die familiären Aufgaben übertragen sind" - vornehme Umschreibung des patriachalischen Hausarbeitszwangs. Zur diskreteren Bewältigung der Doppelbelastung also Nachtarbeitsverbot für Frauen. Ist das die Position, auf die die Gewerkschaft stolz ist?!

    Wie sieht die Realität des Nachtarbeitsverbots aus? Schon die gesetzlichen Bestimmungen (siehe Kasten) lassen erkennen, daß das Verbot nächtlicher Arbeit nur für einen kleinen Teil weiblicher Tätigkeiten gilt. Kein Verbot häuslicher Nachtarbeit, kein Verbot für Angestellte und Beamtinnen und kein Verbot für Krankenhäuser, Restaurants und andere Dienstleistungsbetriebe, Landwirtschaft usw. Das Nachtarbeitsverbot trifft ausschließlich Arbeiterinnen und ist auf die Zeit zwischen acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens begrenzt.

    In mehrschicr, 'gen Betrieben darf bis 23 Uhr gearbeitet werden und wenn die Firmenleitung darauf besteht, erlaubt die Gewerbeaufsicht fast immer flexible Arbeitszeiten, zwischen 24 und 5 Uhr. Schrumpft so die staatliche Rücksichtnahme auf weibliche Konstitution und Doppelbelastung de facto auf einen Zeitraum von fünf Stunden zusammen, so haben findige Unternehmen mit Duldung der Betriebsräte und unter den gar nicht wachsamen Augen der Gewerbeaufsichtsämter selbst diesen Rest nahezu abgeschafft: Um den "Wettbewerbsnachteil" gegenüber den Teilen der Wirtschaft auszugleichen, die nicht vom Nachtarbeitsverbot betroffen sind, werden Arbeiterinnen, die nachts im Betrieb arbeiten sollen, einfach als Angestellte geführt! Sie erhalten einen Monatslohn, der nach dem Stundenlohn der gewerblichen Arbeitnehmerinnen berechnet ist. Die Umgehung des Nachtarbeitsverbots ist also gang und gäbe, so daß dieses Gesetz als eine Schutzregelung für Frauen praktisch keine Wirkung hat! Ganz im Gegensatz zu seinem immer wieder beschworenen angeblich frauenfeindlichen Zweck hat es zwar keine Vorteile, aber massive Benachteiligungen für erwerbstätige Frauen und solche, die es werden wollen. Zum Beispiel:

    1. Unter dem Vorwand, daß in verschiedenen gewerblichen Berufen auch in Nachtschicht gearbeitet wird, lehnen private, aber auch öffentliche Betriebe die Ausbildung weiblicher Lehrlinge ab, obwohl nachts weder Jungen noch Mädchen ausgebildet werden.

    2. Die Übernahme von Mädchen, die die Ausbildung beendet haben, in ein weiteres betriebliches Arbeitsverhältnis wird nicht selten mit Hinweis auf die im Unternehmen übliche Nachtschicht verweigert.

    3. Die Neueinstellung von Frauen oder der innerbetriebliche Wechsel auf einen anderen Arbeitsplatz wird ebenfalls häufig wegen des Nachtarbeitsverbots verweigert. Das gilt natürlich nur für männlich dominierte Bereiche in denen es ungut auffallen würde, wenn die einzige Frau auch noch weniger bezahlt bekommt.

    4. Eine weitere Benachteiligung von Frauen anläßlich des Nachtarbeitsverbots liegt in der Lohndiskriminierung. Selbst wenn Frauen unter Umgehung des Verbots nachts arbeiten, bekommen sie nicht dieselben Zulagen wie Männer! Sei es, daß ihre Nachtschichtzulage geringer ist. Sei es, daß man Männern eine Nachtschichtzulage gibt, obwohl sie gar keine Nachtarbeit leisten. Sei es, daß Frauen die sogenannte "Arbeitsmarktzulage" vorenthalten wird, die Männer deshalb bekommen, weil sie nicht bereit sind zum Frauenlohn nachts zu arbeiten. Im September 1981 hat das Bundesarbeitsgericht auf die Klage der Heinze-Frauen hin zwar entschieden, daß Frauen auch hier der gleiche Lohn für die gleiche Arbeit zusteht. Dennoch sind die eben genannten Diskriminierungen nach wie vor die Regel. Die 52 Schickedanz-Kolleginnen, die am 12. Mai dieses Jahres vor dem Bundesarbeitsgericht stehen werden, um ihr Recht auf Lohngleichheit einzuklagen, müssen eine Differenz zum Männerlohn in Höhe

    ' von 92,23 % hinnehmen! Auch in

    J diesem Prozeß werden Nachtarbeit und die entsprechenden Zulagen eine Rolle spielen.

    ^ Trotz dieser eklatanten Mißstände war das löchrige Nachtarbeitsverbot für Frauen und die schrankenlose Nachtarbeit für

    _ Männer während der hundert- jährigen Geschichte der Arbeitsschutzgesetzgebung niemals Gegenstand gewerkschaftlich organisierter machtvoller Klassenkämpfe und Verteilungsschlachten. In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen finden sich zwar detaillierte Bestimmungen über die finanzielle Absicherung der Nachtarbeiten, wie etwa beträchtliche Lohnzuschläge und verkürzte Schicht bei vollem Lohnausgleich. Ein schon jetzt mögliches tarifliches Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Männer gibt es noch nicht. Ich befürchte, daß dies nicht nur an dem dann sicher sehr nachhaltigen Widerstand der Unternehmen liegt. Denn Nachtarbeit ist im Patriachat nicht nur eine Last, sie ist auch - ein Privileg -, jedenfalls soweit sie von Männern verrichtet wird: Mehr Geld, diskussionslose Befreiung von Hausarbeit, legitime Flucht vor Eheleben und Kinderbetreuung. Trotz der Gesundheitsschädlichkeit, vor allem im späteren Lebensalter, und trotz des weitgehenden Ausschlusses von Freizeitaktivitäten, war selbst zu Zeiten des Wirtschaftswunders kein machtvoller Kampf der Männer gegen Nachtarbeit festzustellen. Das liegt nicht etwa an der Ohnmacht der Gewerkschaften, sondern an den Prioritäten gewerkschaftlicher Politik. Klingt da nicht die offizielle Forderung des DGB, daß Nachtarbeit auf ein Minimum zu beschränken und nur in Versorgungsbetrieben zuzulassen sei, das grundsätzliche Verbot weiblicher Nachtarbeit aber beibehalten werden müsse, ein wenig fadenscheinig? Lassen sich männliche Gesundheitsschäden nach wie vor in Tarifprozenten aufwiegen? Können wir uns damit zufriedengebe'rff'daß die Hamburger Leitstelle zur Gleichberechtigung, Frauen mit qualifizierter Berufsausbildung, die wegen des Nachtarbeitsverbots keine Stelle bekommen, auf eine ferne Zukunft vertröstet in der Nachtarbeit allgemein verboten sein wird?

    Würde die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen tatsächlich zur "Einführung einer dritten Schicht in der industriellen Produktion" füh- ren, wie es dieselbe Leitstelle befürchtet oder existiert diese Schicht nicht in Wahrheit schon in fast allen dafür geeigneten Bereichen? Bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Männer für sich endlich nächtliche Chancengleichheit erkämpfen werden?

    Die Beibehaltung des derzeitigen Nachtarbeitsverbots ausschließlich für Arbeiterinnen ist jedenfalls die allerschlechteste Lösung des Problems. Dieses Verbot muß weg! Denn der gewerkschaftliche Grundsatz, daß diese Bestimmung solange bestehen bleiben muß, bis sie auf Männer erweitert werden kann, erweist sich für Frauen als Bume-rang. Die Gewerkschaften kämpfen eben nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für ein geschlechtsunabhängiges Gesetz. Und das ist wie gesagt kein Zufall...

    Weil das ganze real eh eine Farce ist und de facto dieser "Schutz" vor Nachtarbeit nur ein erneuter Vorwand zur Benachteiligung von Frauen ist, wäre es ehrlicher, dieses spezielle Frauennachtar-beitsverbot endlich abzuschaffen! Und gleichzeitig einen konsequenten Kampf gegen Nachtarbeit überhaupt zu beginnen! Und zwar für Frauen wie Männer. Einen konkreten Kampf gegen die Nachtarbeit auf allen Ebenen der Tarifpolitik und Gesellschaftspolitik, keine Halbherzigkeiten bei der Errichtung neuer Nachtarbeitsplätze, sondern Zurückdrängen krankmachender Arbeitszeiten und -be-dingungen, die Männer und Frauen gleichermaßen treffen... Den über diese Forderung entrüsteten Funktionären aber, die von Termin zu Termin hetzend, ihre Kinder noch nicht einmal am Wochenende sehen, und mit schneidiger Stimme die Erfolge gewerkschaftlicher Frauenpolitik anpreisen, denen kann nur entgegnet werden: Verteilungskämpfe gibt es nicht nur zwischen Klassen, sondern auch zwischen Geschlechtern und wenn dies nicht endlich auch im häuslichen und beruflichen Arbeitsleben begriffen wird, geht noch so manche Bombe los - gerade des nachts.
    Vera Slupik

    Das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen

    (Auszug aus der gültigen Arbeitszeitordnung von 1938)

    §19

    (1) Arbeiterinnen dürfen nicht in der Nachtzeit von 20 bis 6 Uhr und an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen nicht nach 17 Uhr beschäftigt werden.

    (2) In mehrschichtigen Betrieben dürfen Arbeiterinnen bis 23 Uhr beschäftigt werden. Nach vorheriger Anzeige an das Gewerbeaufsichtsamt kann die Frühschicht regelmäßig um 5 Uhr beginnen, wenn die Spätschicht entsprechend früher endet. Das Gewerbeaufsichtsamt kann zulassen, daß die Spätschicht regelmäßig spätestens um 24 Uhr endet, wenn die Frühschicht entsprechend später beginnt.

    (3) Die Vorschriften der Absätze l und 2 gelten nicht für die im § 17 Abs. 3 genannten Betriebe.

    §17

    (3) ... gilt nicht für das Verkehrswesen, für Gast- und Schankwirtschaften, für das übrige Beherbergungswesen, für das Friseurhandwerk, für Badeanstalten, für Krankenpflegeanstalten, für Musikaufführungen, Theatervorstellungen, andere Schaustellungen, Darbietungen oder Lustbarkeiten, für Filmaufnahmen, für Gärtnereien, für Apotheken, für offene Verkaufsstellen und für die mit ihnen verbundenen Änderungswerkstätten sowie für den Marktverkehr.

    §'1

    (l) ... Ausgenommen sind

    1. die Landwirtschaft einschließlich des Gartenbaues, des Weinbaues und der Imkerei, die Forstwirtschaft, die Jagd, die Tierzucht und die land- und forstwirtschaftlichen Netfätfbetriebe gewerblicher Art...

    2. die Fischerei, die Seeschiffahrt und die Luftfahrt, ausschließlich der dazugehörigen Land- und Bodenbetriebe.

    Gefährlicher Schutz Immer

    Wenn Frauen in einer Männergesellschaft freiwillig "Vorteile" eingeräumt werden, sollten sie zweimal hingucken. Emma forderte beim Bonner Hearing die Anschaffung des Machtarbeitsverbots für Frauen" DGB schrie: Skandal! Der DGB hat unrecht. Frauen dürfen nachts nicht arbeiten? ! So manche Frau wird nur müde lachen, hört sie, dass in der Bundesrepublik Gesetze existieren, die nächtliche Frauenarbeit verbieten. Schließlich ist mittlerweile nicht nur Feministinnen bekannt, dass Frauen zwei Drittel aller Arbeit überhaupt leisten. Die gesamte Hausund Erziehungsarbeit, aber auch die Hälfte der Erwerbsarbeit werden von Frauen bestritten und das - wie wir nur zu gut wissen - rund um die Uhr. Tag und Nacht in Küchen und Kinderzimmern, Krankenhäusern und Wohnzimmern, Bars und Schlafzimmern, in Dienstleistungsbetrieben aller Art. Auch von der dritten Schicht industrieller Produktion, die weiblichen Menschen eigentlich verboten ist (siehe Kasten), werden wir nicht verschont.

    Gerade aber weil sich Frauen in Haushalt und Betrieb unter miserablen Bedingungen oftmals zu Tode schuften oder zu Invaliden werden, muss einmal genauer untersucht werden, welche gesetzlichen Wohltaten in Sachen Arbeitsschutz dieser Staat für uns bereithält und - warum. Schließlich hat das Bundesarbeitsministerium für dieses Jahr den Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes angekündigt in dem die vielen verstreuten Gesetze und Verordnungen auf diesem Gebiet zu einem neuen Gesetz zusammengefasst werden sollen. Bedenkt man, dass die meisten der jetzt geltenden Regelungen - darunter auch das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen - aus dem vorigen Jahrhundert stammen, ist dieses Vorhaben nur zu begrüßen. Die ersten Arbeitsschutzvorschriften für Frauen - Wöchnerinnenschutz, Verbot der Frauenarbeit unter Tage und nachts -wurden 1878 in der Gewerbe- Ordnung geschaffen. Das Elend der Frauen, die damals gewerblich arbeiteten, hatte viele Ursachen: schlechte Ernährung, zu lange Arbeitszeiten in Betrieb und Haushalt, ständige Schwangerschaften, miserable Arbeitsbedingungen, aber auch das Züchtigungsrecht des Ehemannes und die vielfach gegen Frauen ausgeübte Gewalt in Betrieb durch Vorgesetzte und Kollegen. Schon im vorigen Jahrhundert wurde dann auch der besondere Frauenarbeitsschutz" einschließlich des Nachtarbeitsverbots folgendermaßen gerechtfertigt: "Neben den Rücksichten auf die Sittlichkeit, gilt es, den Besonderheiten des weiblichen Organismus, der Stellung des Weibes als Mutter und Hausfrau gerecht zu werden" (schrieb Heinrich Herkener in der "Arbeiterfrage" 1894). Dass Sittlichkeit, Biologie und soziale Rolle in einem Atemzug genannt werden, sind wir Frauen ja auch heute noch gewöhnt. Schon in den Bismarckschen Enqueten zur Lage von Arbeiterinnen und Arbeitern wird missbilligt, dass Männer und Frauen während der nächtlichen Anwesenheit im Betrieb nicht nur arbeiteten, sondern auch so mancherlei Vergnügungen nachgingen. Die vielfachen Vergewaltigungen und Überfälle auf Frauen in Betrieben und auf nächtlichen Straßen waren allerdings ein ausschließlich männliches Vergnügen. Um des Mannes Arbeitsmoral zu heben, verbannte man also die Frauen nachts ins Haus, obwohl es - übrigens auch heute noch - wirkungsvoller gewesen wäre, ein Ausgeh- und Nachtarbeitsverbot für Männer zu erlassen (natürlich, ohne den Männern zu verbieten, nachts die Kinder zu versorgen...).

    Heute ist in der Diskussion über das Nachtarbeitsverbot zwar nicht mehr von Sitte und Moral die Rede, was die soziale "Stellung des Weibes" anbelangt und den altbekannten Rückzug auf biologische Beschaffenheiten, hat sich jedoch nicht viel geändert. Die bundesdeutschen Gerichte halten nach wie vor an dieser frauenspezifischen Begründung fest, obgleich nahezu alle neueren Forschungen über Nachtarbeit belegen, dass diese unabhängig vom Geschlecht gesundheitsschädlich ist, das heißt lebensfeindlich für Menschen: für Frauen und Männer gleichermaßen.

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund nun ist der Meinung, dass das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen beibehalten bleiben soll, weil es Frauen "meist nicht möglich" sei, "am Tage zum nötigen Schlaf zu kommen, da ihnen in der Regel vorwiegend die familiären Aufgaben übertragen sind" - vornehme Umschreibung des patriarchalischen Hausarbeitszwangs. Zur diskreteren Bewältigung der Doppelbelastung also Nachtarbeitsverbot für Frauen. Ist das die Position, auf die die Gewerkschaft stolz ist?!

    Wie sieht die Realität des Nachtarbeitsverbots aus? Schon die gesetzlichen Bestimmungen (siehe Kasten) lassen erkennen, dass das Verbot nächtlicher Arbeit nur für einen kleinen Teil weiblicher Tätigkeiten gilt. Kein Verbot häuslicher Nachtarbeit, kein Verbot für Angestellte und Beamtinnen und kein Verbot für Krankenhäuser, Restaurants und andere Dienstleistungsbetriebe, Landwirtschaft usw. Das Nachtarbeitsverbot trifft ausschließlich Arbeiterinnen und ist auf die Zeit zwischen acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens begrenzt.

    In mehrschichtigen Betrieben darf bis 23 Uhr gearbeitet werden und wenn die Firmenleitung darauf besteht, erlaubt die Gewerbeaufsicht fast immer flexible Arbeitszeiten, zwischen 24 und 5 Uhr. Schrumpft so die staatliche Rücksichtnahme auf weibliche Konstitution und Doppelbelastung de facto auf einen Zeitraum von fünf Stunden zusammen, so haben findige Unternehmen mit Duldung der Betriebsräte und unter den gar nicht wachsamen Augen der Gewerbeaufsichtsämter selbst diesen Rest nahezu abgeschafft: Um den "Wettbewerbsnachteil" gegenüber den Teilen der Wirtschaft auszugleichen, die nicht vom Nachtarbeitsverbot betroffen sind, werden Arbeiterinnen, die nachts im Betrieb arbeiten sollen, einfach als Angestellte geführt! Sie erhalten einen Monatslohn, der nach dem Stundenlohn der gewerblichen Arbeitnehmerinnen berechnet ist. Die Umgehung des Nachtarbeitsverbots ist also gang und gäbe, so dass dieses Gesetz als eine Schutzregelung für Frauen praktisch keine Wirkung hat! Ganz im Gegensatz zu seinem immer wieder beschworenen angeblich frauenfeindlichen Zweck hat es zwar keine Vorteile, aber massive Benachteiligungen für erwerbstätige Frauen und solche, die es werden wollen. Zum Beispiel:

    1. Unter dem Vorwand, dass in verschiedenen gewerblichen Berufen auch in Nachtschicht gearbeitet wird, lehnen private, aber auch öffentliche Betriebe die Ausbildung weiblicher Lehrlinge ab, obwohl nachts weder Jungen noch Mädchen ausgebildet werden.

    2. Die Übernahme von Mädchen, die die Ausbildung beendet haben, in ein weiteres betriebliches Arbeitsverhältnis wird nicht selten mit Hinweis auf die im Unternehmen übliche Nachtschicht verweigert.

    3. Die Neueinstellung von Frauen oder der innerbetriebliche Wechsel auf einen anderen Arbeitsplatz wird ebenfalls häufig wegen des Nachtarbeitsverbots verweigert. Das gilt natürlich nur für männlich dominierte Bereiche in denen es ungut auffallen würde, wenn die einzige Frau auch noch weniger bezahlt bekommt.

    4. Eine weitere Benachteiligung von Frauen anlässlich des Nachtarbeitsverbots liegt in der Lohndiskriminierung. Selbst wenn Frauen unter Umgehung des Verbots nachts arbeiten, bekommen sie nicht dieselben Zulagen wie Männer! Sei es, dass ihre Nachtschichtzulage geringer ist. Sei es, dass man Männern eine Nachtschichtzulage gibt, obwohl sie gar keine Nachtarbeit leisten. Sei es, dass Frauen die so genannte "Arbeitsmarktzulage" vorenthalten wird, die Männer deshalb bekommen, weil sie nicht bereit sind zum Frauenlohn nachts zu arbeiten. Im September 1981 hat das Bundesarbeitsgericht auf die Klage der Heinze-Frauen hin zwar entschieden, dass Frauen auch hier der gleiche Lohn für die gleiche Arbeit zusteht. Dennoch sind die eben genannten Diskriminierungen nach wie vor die Regel. Die 52 Schickedanz-Kolleginnen, die am 12. Mai dieses Jahres vor dem Bundesarbeitsgericht stehen werden, um ihr Recht auf Lohngleichheit einzuklagen, müssen eine Differenz zum Männerlohn in Höhe

    ' von 92,23 % hinnehmen! Auch in

    J diesem Prozess werden Nachtarbeit und die entsprechenden Zulagen eine Rolle spielen.

    ^ Trotz dieser eklatanten Missstände war das löchrige Nachtarbeitsverbot für Frauen und die schrankenlose Nachtarbeit für

    _ Männer während der hundert- jährigen Geschichte der Arbeitsschutzgesetzgebung niemals Gegenstand gewerkschaftlich organisierter machtvoller Klassenkämpfe und Verteilungsschlachten. In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen finden sich zwar detaillierte Bestimmungen über die finanzielle Absicherung der Nachtarbeiten, wie etwa beträchtliche Lohnzuschläge und verkürzte Schicht bei vollem Lohnausgleich. Ein schon jetzt mögliches tarifliches Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Männer gibt es noch nicht. Ich befürchte, dass dies nicht nur an dem dann sicher sehr nachhaltigen Widerstand der Unternehmen liegt. Denn Nachtarbeit ist im Patriarchat nicht nur eine Last, sie ist auch - ein Privileg -, jedenfalls soweit sie von Männern verrichtet wird: Mehr Geld, diskussionslose Befreiung von Hausarbeit, legitime Flucht vor Eheleben und Kinderbetreuung. Trotz der Gesundheitsschädlichkeit, vor allem im späteren Lebensalter, und trotz des weitgehenden Ausschlusses von Freizeitaktivitäten, war selbst zu Zeiten des Wirtschaftswunders kein machtvoller Kampf der Männer gegen Nachtarbeit festzustellen. Das liegt nicht etwa an der Ohnmacht der Gewerkschaften, sondern an den Prioritäten gewerkschaftlicher Politik. Klingt da nicht die offizielle Forderung des DGB, dass Nachtarbeit auf ein Minimum zu beschränken und nur in Versorgungsbetrieben zuzulassen sei, das grundsätzliche Verbot weiblicher Nachtarbeit aber beibehalten werden müsse, ein wenig fadenscheinig? Lassen sich männliche Gesundheitsschäden nach wie vor in Tarifprozenten aufwiegen? Können wir uns damit zufrieden geben, dass die Hamburger Leitstelle zur Gleichberechtigung, Frauen mit qualifizierter Berufsausbildung, die wegen des Nachtarbeitsverbots keine Stelle bekommen, auf eine ferne Zukunft vertröstet in der Nachtarbeit allgemein verboten sein wird?

    Würde die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen tatsächlich zur "Einführung einer dritten Schicht in der industriellen Produktion" führen, wie es dieselbe Leitstelle befürchtet oder existiert diese Schicht nicht in Wahrheit schon in fast allen dafür geeigneten Bereichen? Bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Männer für sich endlich nächtliche Chancengleichheit erkämpfen werden?

    Die Beibehaltung des derzeitigen Nachtarbeitsverbots ausschließlich für Arbeiterinnen ist jedenfalls die allerschlechteste Lösung des Problems. Dieses Verbot muss weg! Denn der gewerkschaftliche Grundsatz, dass diese Bestimmung solange bestehen bleiben muss, bis sie auf Männer erweitert werden kann, erweist sich für Frauen als Bumerang. Die Gewerkschaften kämpfen eben nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für ein geschlechtsunabhängiges Gesetz. Und das ist wie gesagt kein Zufall...

    Weil das ganze real eh eine Farce ist und de facto dieser "Schutz" vor Nachtarbeit nur ein erneuter Vorwand zur Benachteiligung von Frauen ist, wäre es ehrlicher, dieses spezielle Frauennachtarbeitsverbot endlich abzuschaffen! Und gleichzeitig einen konsequenten Kampf gegen Nachtarbeit überhaupt zu beginnen! Und zwar für Frauen wie Männer. Einen konkreten Kampf gegen die Nachtarbeit auf allen Ebenen der Tarifpolitik und Gesellschaftspolitik, keine Halbherzigkeiten bei der Errichtung neuer Nachtarbeitsplätze, sondern Zurückdrängen krankmachender Arbeitszeiten und -bedingungen, die Männer und Frauen gleichermaßen treffen... Den über diese Forderung entrüsteten Funktionären aber, die von Termin zu Termin hetzend, ihre Kinder noch nicht einmal am Wochenende sehen, und mit schneidiger Stimme die Erfolge gewerkschaftlicher Frauenpolitik anpreisen, denen kann nur entgegnet werden: Verteilungskämpfe gibt es nicht nur zwischen Klassen, sondern auch zwischen Geschlechtern und wenn dies nicht endlich auch im häuslichen und beruflichen Arbeitsleben begriffen wird, geht noch so manche Bombe los - gerade des nachts.
    Vera Slupik

    Das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen

    (Auszug aus der gültigen Arbeitszeitordnung von 1938)

    §19

    (1) Arbeiterinnen dürfen nicht in der Nachtzeit von 20 bis 6 Uhr und an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen nicht nach 17 Uhr beschäftigt werden.

    (2) In mehrschichtigen Betrieben dürfen Arbeiterinnen bis 23 Uhr beschäftigt werden. Nach vorheriger Anzeige an das Gewerbeaufsichtsamt kann die Frühschicht regelmäßig um 5 Uhr beginnen, wenn die Spätschicht entsprechend früher endet. Das Gewerbeaufsichtsamt kann zulassen, dass die Spätschicht regelmäßig spätestens um 24 Uhr endet, wenn die Frühschicht entsprechend später beginnt.

    (3) Die Vorschriften der Absätze l und 2 gelten nicht für die im § 17 Abs. 3 genannten Betriebe.

    §17

    (3) ... gilt nicht für das Verkehrswesen, für Gast- und Schankwirtschaften, für das übrige Beherbergungswesen, für das Friseurhandwerk, für Badeanstalten, für Krankenpflegeanstalten, für Musikaufführungen, Theatervorstellungen, andere Schaustellungen, Darbietungen oder Lustbarkeiten, für Filmaufnahmen, für Gärtnereien, für Apotheken, für offene Verkaufsstellen und für die mit ihnen verbundenen Änderungswerkstätten sowie für den Marktverkehr.

    §'1

    (l) ... Ausgenommen sind

    1. die Landwirtschaft einschließlich des Gartenbaues, des Weinbaues und der Imkerei, die Forstwirtschaft, die Jagd, die Tierzucht und die land- und forstwirtschaftlichen Nebenbebetriebe gewerblicher Art...

    2. die Fischerei, die Seeschifffahrt und die Luftfahrt, ausschließlich der dazugehörigen Land- und Bodenbetriebe.
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