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Erbe: die 68erinnen [Achtundsechzigerinnen] : SDS-Aktivistin Susanne ; keine Anhängsel

in: EMMA
2002 , Heft: 6 , 78-83 S.

Weitere Informationen

Einrichtung: FrauenMediaTurm | Köln
Signatur: Z-Ü107:2002-6-a
Formatangabe: Buchauszug
Link: Volltext
Verfasst von: Schunter-Kleemann, Susanne
In: EMMA
Jahr: 2002
Heft: 6
Beschreibung: Ill.
ISSN: 0721-9741
List of content:
  • Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS)
  • Sprache: Nicht einzuordnen
    Beschreibung:
    SDS-Aktivistin Susanne Keine Anhängsel!

    Die "Frauenfrage hat Susanne Schunter-Kleemann erst ab Mitte der 70er richtig wahrgenommen", als die Sozialwissenschaftlerin an die Bremer Uni berufen wurde, da "waren wir zwei Frauen und 36 Männer". In den SDS ist das "ganz liebe Mädchen" ("Mit 21 war ich noch Jungfrau") 1964 eingetreten. Doch in der Kommune 1 hat sie immer nur übernachtet (wg. Fritz Teufel), tagsüber ging sie brav studieren. Von der Politik hat die Professorin in Bremen und Mutter einer Tochter bis heute nicht gelassen.

    Ich war damals ein ganz liebes Mädchen und mit 21 noch Jungfrau, also im Grunde eine Spätentwicklerin. Meine Freundinnen hatten alle schon erotische Beziehungen, ich aber nicht. Ich musste allerdings zu Hause auch nicht gegen irgend jemanden anrennen, und es gab keine Grenzen. Die ersten beiden Semester studierte ich in Marburg und fuhr häufig am Wochenende nach Hause. Aber ich wollte weiter weg, und zwar nach Berlin in die Großstadt. Außerdem stammten meine Eltern von dort.

    Im ersten Semester fühlte ich mich sehr alleine in Berlin, bis ich anfing, in den Argument-Club zu gehen, und dort irgendwann einer zu mir sagte: "Komm doch mal mit zum SDS." Ganz schnell wurde daraus das Kontrastprogramm zur Uni, wo ich mich ziemlich verloren und orientierungslos fühlte. Die Theorien von Adorno und Habermas, die wir lesen sollten, waren schwer zu verstehen.

    Doch der SDS strukturierte die Welt. Die gleichen Studenten, mit denen ich in den Lehrveranstaltungen saß, redeten dort so, dass man die Welt auf einmal besser begriff und die politischen Ereignisse ein bisschen interpretieren konnte. Andererseits hat es mich zum Teil auch geängstigt, welche Folgen es haben konnte, im SDS zu sein. Aber die Faszination war größer, und 1964 bin ich eingetreten.

    Das Thema, das uns von Anfang an bewegte, war der Vietnamkrieg. 1965 fing es schon an, dass wir Ausschnitte aus amerikanischen Zeitungen sammelten. Ich konnte ganz gut Englisch und habe übersetzt. Auch die Themen Faschismus und Antifaschismus haben uns sehr beschäftigt. Reinhard Strecker, ein SDSler, sammelte Archivmaterial für eine Dokumentation über Nazis, die nun in hohen Regierungsämtern saßen. Wir haben endlos Karteikarten ausgefüllt und so die Lebensgeschichten von Nazis verfolgt, mit dem Ziel, sie aus ihren Ämtern rauszukriegen.

    Zusammen mit Ursel Henning und Sigrid Rüger bin ich sehr früh in die Hoch- Schulpolitik eingestiegen. Angeregt durch die Arbeit im SDS, gingen wir in den Konvent. Das war die Zeit der Auseinandersetzungen über das politische Mandat der Studentenschaft. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob die Studenten in den Räumen der Universität politische Veranstaltungen durchführen dürfen oder nicht.

    Häufig wird kolportiert, dass der SDS damals ein reiner Männerverband gewesen sei. Doch das stimmt nicht. Männer waren zwar immer deutlich in der Mehrheit, aber bei allen Sitzungen waren immer auch viele Frauen dabei. Einige Frauen spielten auf Bundesebene eine führende Rolle, wie Ursula Schmiederer, und auch in den Landes-verbänden waren Frauen in führender Rolle aktiv, wie im Frankfurter SDS Annegret Steinhauer und in München Marina Achenbach, um mal einige Frauennamen zu nennen.

    Diejenigen, die mich zu politischer Arbeit angeregt haben, waren meistens Frauen. In Berlin war damals Sigrid Rüger die Senkrechtstarterin in der Hochschulpolitik, und bald wurde sie studentische Sprecherin im Akademischen Senat. Sie vertrat damit die studentischen Interessen in den Hochschulgremien, wo fast ausschließlich Professoren und fast nur Männer saßen.

    Später ist auch viel Unsinn über das Verhältnis der Geschlechter zueinander im SDS geschrieben worden. Aber wir sind nicht in irgendwelche Betten gezogen worden, in die wir nicht wollten, sondern haben selbst getan, wozu wir Lust hatten. Viele SDSler waren oft noch von einer traditionellen Ritterlichkeit und haben uns brav nach Hause begleitet. Sie waren zum großen Teil gut erzogene Bürgersöhne und oft eher verklemmt und zurückhaltend. Das Gefühl, nicht gewürdigt oder missachtet zu werden, hatte ich jedenfalls nie.

    1965 zog ich zu Sigrid Rüger und wohnte ein Dreivierteljahr bei ihr. Sie war voll in die hochschulpolitische Tätigkeit eingestiegen; 1964 Sprecherin der Philosophischen Fakultät und 1965 zusätzlich studentische Vertreterin im Akademischen Senat gewor- den. Sigrid war vier Jahre älter als ich, kam über den zweiten Bildungsweg und hatte das Hessen-Kolleg besucht. Sie konnte sich gut ausdrücken und hatte einen unglaublichen Mut. Als ich noch wirklich Angst hatte, öffentlich etwas zu sagen, hat sie sich schon getraut, zwanzig oder manchmal auch achtzig Professoren alleine gegenüberzusitzen und ihre Position zu vertreten.

    Am 27. Januar 1965 ließ ich mich zur Gruppenvorsitzenden des SDS an der FU wählen. Dadurch war ich verantwortlich für alles, was an der FU lief, und musste eine ganze Menge koordinieren. Dass ich mit Sigrid Rüger zusammenwohnte, war dafür ideal: Sie saß in den akademischen Gremien, und ich machte die Organisationsarbeit. Dadurch konnte vieles schnell und zügig ablaufen.

    Es war ein sehr aufwühlender und aufregender Lernprozess, weil man oft am Rande der Legalität agierte. Im SDS zu sein war gefährlich, und es gehörte schon etwas Mut dazu, sich dazu zu bekennen. Denn der SDS galt als anrüchig, weil er aus der SPD rausgeschmissen worden war. Außerdem war eine unglaubliche antikommunistische Stimmung in der Bevölkerung, besonders in Berlin, und alles, was sich auch nur ansatzweise sozialistisch gebärdete und antikapitalistische Ziele verfolgte, wurde in einer Art und Weise im öffentlichen Klima angefeindet, wie man sich das heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann.

    Es gab ja auch noch die Mauer, und dahinter waren die Kommunisten. Ständig wurde man verdächtigt, deren "fünfte Ko-lonne" zu sein, heimlich zu koalieren und verdeckte Verbindungen zu unterhalten. Eigentlich in allem, was man sagte, wurde man der anderen Seite zugerechnet. Da konnte man sich distanzieren, so viel man wollte, es nützte alles nichts.

    Der SDS war ja nun tatsächlich ein Stu-dentenverband, der als Ziel die Errichtung einer neuen, sozialistischen Gesellschaft vor Augen hatte. Diesen Kapitalismus und diese bundesrepublikanische Gesellschaft wollten wir auf keinen Fall. Denn das war in unseren Augen eine Gesellschaft der absoluten Intoleranz, wo einflussreiche Nazis wieder in wichtigen Positionen saßen, und die NS-Verbre-chen wurden absolut tabuisiert. Sie waren nicht einmal in den Lehrveranstaltungen an der Universität präsent. Selbst wenn man Politik studierte, wurden diese Themen nicht behandelt.

    Aber im SDS, im Argument-Club und in unseren Zeitschriften, wie der "Neuen Kritik" und dem "Argument", wurde die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und der faschistischen Vergangenheit der Bundesrepublik intensiv geführt. Uns interessierten auch andere Gesellschaftsentwürfe, natürlich der jugoslawische Weg, die Entwicklung Kubas und auch die Situation in China. Aber es gab im SDS auch Leute, die das sozialistische Lager in Moskau und die DDR zum Vorbild hatten. Spätestens seit 1966/67 gab es Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Flügeln im SDS.

    Die Entwicklung der Bundesrepublik nach rechts, die Planung der Notstandsgesetze, der Vietnamkrieg, das alles waren die Themen, die uns damals zeigten, dass die Demokratie wesdichen Zuschnitts, wie wir sie erlebten, etwas sehr Begrenztes war. Wir waren auch nicht der Meinung, dass die Amerikaner, als "die großen Freunde der Bundesrepublik" und unsere "Befreier", nun auch noch die Demokratie in Vietnam verteidigten.

    Wir haben sehr gründlich ausländische Zeitungen gelesen, und dort wurden die Folterungen, die amerikanische Soldaten an vietnamesischen Frauen verübten, geschildert. Solche Berichte fand man selten in der deutschen Presse, aber man konnte sie sehr wohl in anderen Zeitungen lesen. Das waren zum Teil unglaublich drastische Berichte, die einen erschütterten.

    Es gab zum Beispiel Fotos von großen Grills, die die Amerikaner gebaut hatten. Auf heiß glühende Drähte wurden Frauen gelegt und gefoltert. Oder es gab Beschreibungen von sexueller Folter, wie sie Frauen an Bäumen nackt aufhängten und mit langen Stöcken in die Vagina bohrten oder die Brüste durchspießten. Solche grausamen Geschichten waren Tag für Tag zu lesen, und das war wirklich furchtbar für mich. Informationen über den Krieg und die Foltermethoden der Amerikaner versuchten wir durch Flugblätter an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch wir wurden in den Medien als Linksradikale, Spinner und Volksverhetzer behandelt.

    Selbst die ersten, noch ganz liebenswürdigen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und die ersten Versuche, Aufklärung zu betreiben, stießen auf solch großen Widerstand, dass man langsam kapierte: "Aha, wer hier nicht mitschwimmt, gehört automatisch zur anderen Seite!" Insofern würde ich sagen, dass es gar kein selbst gewählter Prozess war, sondern dass man schrittweise zu dem wurde, wozu sie einen machten, nämlich zu einem Linksradikalen. Ich war eigentlich ein ganz liebes Mädchen damals. Aber als ich irgendwann mal feststellte, "ich bin ja schon Verfassungsfeindin, nur weil ich bestimmte Dinge ausspreche, die ich als unerträglich empfinde", war das für mich eine ganz einschneidende Erkenntnis.

    Als SDS haben wir sehr früh zu Vietnam-Demonstrationen aufgerufen. Es waren zunächst nur kleine Aktionen. Doch aufgrund der vielen Flugblätter, die wir gemacht hatten, und der Diskussionen und Veröffentlichungen, vergrößerte sich der Kreis immer mehr. Bei einer der ersten großen Vietnam-Demonstrationen, ich glaube 1965, haben wir zum ersten Mal den Ku'damm blockiert und sind dann vor das Amerika-Haus gezogen, um einen Sitzstreik zu machen. Ein Freund von mir hatte Eier gekauft, und wir haben sie geworfen. Es war wunderschön, wie die Eier das Amerika-Haus trafen.

    Das ist heute total banal, aber damals hat es einen Aufschrei in der Presse gegeben. Wir sind eine Woche lang als die größten Übeltäter und Kriminellen bezeichnet worden, und es wurde gefordert, man solle uns von der Uni werfen. Willy Brandt, damals Bürgermeister von Berlin, distanzierte sich von uns und entschuldigte sich beim amerikanischen Botschafter.

    Wir müssen beinahe jeden zweiten oder dritten Abend im SDS oder irgendwo auf einer politischen Veranstaltung gewesen sein, und es war immer aufregend und spannend. Ich würde sagen, es war ein kollektiver Lernprozess, der immer größere Kreise zog. Individuelle Emanzipation war hingegen weder praktisch noch theoretisch ein Thema.

    Die Versammlungen der Studenten wurden immer größer. Zuerst waren wir nur ein paar Leute, dann waren wir plötzlich tausend, dann sechstausend, und dann gab es ganz große Demonstrationen, auf die nicht nur die bundesrepublikanische Presse reagierte, sondern sogar die Weltpresse. Wir dachten nun wirklich: "Wir sind der Nabel der Welt und das Zentrum der Revolution."

    Über die amerikanische Studentenbewegung habe ich schließlich meine Diplomarbeit geschrieben. Die dortigen politischen Aktionsformen waren für uns völlig neu, wie Picket-Lines, Teach-ins, Sit-ins oder Go-ins. Diese Aktionsformen habe ich, zusammen mit anderen, hier bekannt gemacht. Wir haben damals ziemlich breit über die amerikanische Studentenrevolte geschrieben, die ja im Herbst 1964 begonnen hatte, unter anderem im "FU-Spiegel", unserer damaligen Studentenzeitung an der FU.

    Ende 1967 bin ich mit Sigrid Fronius und Maria Berg in die Potsdamer Straße gezogen, wo wir ungefähr bis Herbst 1969 wohnten. Das war dann sozusagen meine "Familie". Michael Ruetz hat dort von uns Fotos gemacht und uns in einem seiner Bücher als "Bräute der Revolution" bezeichnet. Ich finde diesen Begriff ziemlich daneben, weil es so aussieht, als wären wir nur die "Bräute" der Revoluzzer gewesen. Aber wir haben uns weder so gefühlt, noch wurden wir so gesehen. Tatsächlich waren wir selbst Akteurinnen und nicht etwa die Anhängsel von irgendwem.

    Sigrid Fronius ist im Mai 1968 zur AStA-Chefin an der FU gewählt worden. Sie war für mich sehr wichtig, und wir mochten uns sehr gern. Wir haben oft über unsere Freunde geredet. Das war die Zeit, in der ich öfter in der Kommune l abgestiegen bin. Ich habe Sigrid natürlich über meine Abenteuer berichtet, und sie hatte auch gerade ihre wilde Phase.

    Über unser Sexualleben würde ich heute sagen, dass bei allen Beteiligten der sexuelle Notstand herrschte. Denn man hatte eher viel zu wenig Sex, was dazu führte, dass man immer wieder mal mit jemand ins Bett ging. Das waren Situationen, wo man mit Genossen gerade etwas Schönes gemacht hatte und dann auch ins Bett sank, weil dich jemand in den Arm nahm. Zwar sah das nach ganz viel Sex aus, war aber oft eher unbefriedigend.

    Und dann gab es für mich Sigrid Rüger. Zwischen uns war es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick Wir haben uns oft umarmt, und einmal gab es eine hocherotische Situation. Aber ich wusste noch überhaupt nichts von Lesbisch-Sein und sie auch nicht. Wir haben uns vielleicht auch nicht getraut. Später hat sie es in einem Brief bedauert, dass sich zwischen uns nichts abgespielt hat. Es ist in meinem Leben leider nicht passiert. Ich bin sehr auf Männer hin orientiert.

    Ich bedauere heute, dass ich nicht etwas flexibler bin und noch so im Käfig traditioneller Geschlechterbeziehungen stecke. Auch damals ging der Befreiungsschritt nur so weit, dass wir ohne Hemmungen mit den Männern ins Bett gingen, mit denen es Spaß gemacht hat.

    Ein Mann, der mich eine Zeit lang sehr interessierte, war Fritz Teufel. Ich fand ihn wirklich prickelnd, wenn es im Bett auch eher enttäuschend war. Das war bei vielen SDSlern so. Wir Frauen wussten das, weil wir uns natürlich über unsere Affären austauschten. Die Männer waren zwar intellektuell oder satirisch gut drauf, aber im Bett oft verklemmt und gehemmt. Sie redeten im Grunde viel mehr darüber, als dass sie es tatsächlich praktizierten.

    Kennen gelernt habe ich Fritz Teufel, weil ich ihm ins Gefängnis geschrieben habe. Kurz vor Weihnachten 1967 wurde er freigelassen. Bei einer großen Versammlung im Audimax der FU trat er auf und machte einen sehr witzigen Beitrag. Ich saß auf dem Podium, und er setzte sich neben mich. Von da an sind wir zusammen herumgezogen.

    Dann begann dieses Hin und Her mit der K l. Ich war aber nicht radikal genug - jedenfalls meinten das die Kommunarden -, um mit meiner "bürgerlichen Vergangenheit" zu brechen. Lieber schaute ich mir das Leben in der Kommune erst einmal in Ruhe an. Sie haben mich immer wieder gedrängt, ich solle doch mein Zimmer aufgeben und ganz am Stuttgarter Platz einziehen, doch ohne Erfolg. Nach dem Frühstück in der K l zog ich in mein Institut für Bildungsforschung ab und schrieb an meiner Diplomarbeit. Dafür erntete ich oft hämische Bemerkungen, wie "Oh! Plomsuse muss wieder zur Arbeit gehen!". Fritz hatte mir diesen Spitznamen verpasst, als Abkürzung für Diplom-Susanne.

    Das Zusammenleben in der Kommune l war ein politisches Wohnexperiment, wie es damals viele in Berlin gab. Allen sollte alles gemeinsam gehören. Aber in der K l war ein unglaublicher Durchlauf von Leuten, die aus der ganzen BRD hinkamen und sich informieren wollten. Denn sie wurde in vielen Zeitungen erwähnt und war dadurch sehr bekannt.

    Abends wurde immer groß gekocht, wenn man nicht gerade bei einer Aktion war. Ein oder zwei Leute machten ein wunderbares Essen, meist sehr reichhaltig, weil die jeweiligen Pressevertreter, die tagsüber da waren, für das Essen aufkommen mussten. Entweder luden sie die gesamte Mannschaft in ein Lokal ein, oder sie mussten reichlich für diese Interviews berappen. Sehr bald schon gingen die Fünfhunderter oder auch Tausender über den Tisch. Die K l hat sich sozusagen verkauft und wurde nur so zum Medienstar.

    Von Dezember 1967 bis März 1968 war ich sozusagen Dauergast in der K l und wollte Fritz kriegen. Er hat eine ganze Weile mitgespielt, bis ich zu einer Vietnam-Demonstration nach London fuhr. Als ich wiederkam, lag er mit einer anderen Frau im Bett. Das war ein ziemlicher Affront, und damit war für mich die Episode zu Ende.

    Wir wussten damals bereits, dass wir vom SDS in den Akten des Verfassungsschutzes vermerkt waren. Denn bei den Demonstrationen waren ständig Fotografen der Polizei präsent. Einmal sammelten wir an der Universität Geld für den Viet-cong, obwohl diese Sammlung verboten worden war. Bald erschien die Polizei. Einen Freund von mir haben sie furchtbar verhauen, und er schrie unmittelbar in meiner Nähe wahnsinnig laut auf.

    Ich bin daher mit der Sammelbüchse auf die Polizisten los, die ihn festhielten, und habe auf sie eingeschlagen. Dann bin ich weggerannt und alle hinter mir her. Einer brüllte laut: "Halt die fest, das ist eine Hauptjule!" Da wurde mir klar: "Aha, die kennen dich schon." Ich wurde festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Doch das Verfahren wurde später eingestellt. Mich hat sehr berührt, als Marianne Herzog mir kürzlich erzählte, dass sie zwei Jahre im Gefängnis war, und sagte: "Ich wusste immer, die Gefängnisse sind nicht nur für die anderen gemacht." Dieses Gefühl der Bedrohung hatte ich eigentlich damals auch, aber ich habe es nicht so ausgesprochen.

    Als Rudi Dutschke angeschossen wurde, war uns allen klar, das ist ein Ergebnis der Hetze der Springer-Presse. Er war ja nun wirklich als der Revoluzzer schlechthin aufgebaut worden. Ich war bei den "Osterun-ruhen" dabei, die sich eine ganze Woche hinzogen. Von morgens bis abends waren wir auf den Beinen, zogen vor das Springer-Hochhaus, und es war einem alles recht, was diesen "Bild"-Zeitungs-Verleger klein machte. Denn es war manchmal lebensgefährlich, als Student auf der Straße zu demonstrieren. Wenn man nicht vor der Polizei Angst haben musste, dann vor der Berliner Bevölkerung, die durch die Springer-Presse dermaßen aufgehetzt und aggressiv war. Dadurch entstand unsere Forderung: "Man muss diesen Springer enteignen."

    Doch bei der RAF hörte es auf. Für irgendwelche klandestinen Aktionen war ich nicht zu haben. Und Gewalt gegen Personen wollte ich ebenfalls nicht, wobei es natürlich auch Gewalt gegen Personen ist, einen Stein auf einen Polizisten zu werfen. Aber sie waren damals die unmittelbaren Repres-sionsorgane, die wir immer als brutale Angreifer erlebt haben.

    1975 machte ich meinen Doktor, und 1976 bekam ich einen Ruf an die Hochschule für Wirtschaft in Bremen für die Fächer Sozial- und Politikwissenschaft. In der Zeit habe ich mich stark gewerkschaftlich betätigt und war verantwortlich für die Planung und Durchführung einer Veranstaltungsreihe "Universität und Betrieb". Irgendwann kam ich auf die Idee, man musste doch auch mal etwas über die Frauen in den Betrieben machen. Die Frauenfrage habe ich eigentlich erst ab diesem Zeitpunkt richtig wahrgenommen, doch dann hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.

    Was das Geschlechterverhältnis betrifft, so war der SDS einerseits ein Spiegelbild der Gesellschaft, andererseits auch wieder nicht. Es gab eine Dominanz der Männer, und dennoch war der SDS ein ganzes Stück egalitärer als die Gesellschaft. Es waren sehr viele Frauen dabei, und wir wurden nirgendwo rausgedrängt. Ich hatte immer das Gefühl, "hier bin ich richtig, hier ist mein Ort", und ich denke, vielen anderen Frauen ging es auch so.

    Der Anteil der Frauen ist meiner Meinung nach nicht zu unterschätzen, und deshalb ärgere ich mich darüber, dass in den Büchern und Aufarbeitungen über die 68er Jahre die Frauen herausfallen, selbst bei den Autoren, die sie in ihren Büchern in früheren Auflagen erwähnt haben.

    Doch heute finde ich es wirklich bedauerlich, dass die Frauen auf einmal verschwunden sind, obwohl sie kräftig mitgemischt haben. Sie stehen nicht einmal in den KJ* Namensverzeichnissen drin."
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